Warum Unternehmenskultur nicht erfunden, sondern gelebt wird
Es gibt kaum ein Wort, das in Stellenanzeigen und Karriereseiten so häufig auftaucht – und gleichzeitig so wenig greifbar ist – wie „Unternehmenskultur“. Meist klingt es nach Buzzword-Bingo: offene Türen, flache Hierarchien, gute Stimmung. Aber was heißt das eigentlich wirklich? Die Realität ist oft komplexer – und spannender. Denn Unternehmenskultur zeigt sich nicht im Leitbild und auch nicht auf der Hochglanzfolie bei Präsentationen. Sie zeigt sich in den kleinen Momenten des Arbeitsalltags: in Entscheidungen, in Reaktionen auf Fehler, in Gesprächen, in E-Mails. Kultur ist das, was bleibt, wenn niemand hinschaut.
Kultur entsteht nicht – sie ist immer schon da
Jedes Unternehmen hat eine Kultur. Auch dann, wenn es keine „Werte“ formuliert hat oder noch nie über den Purpose gesprochen wurde. Denn wo Menschen miteinander arbeiten, entsteht automatisch ein Miteinander – geprägt durch Kommunikation, Führungsstil, Prozesse, Umgangsformen. Die Frage ist also nicht, ob es Kultur gibt – sondern wie bewusst man mit ihr umgeht. Wer Unternehmenskultur gestalten will, muss sie zuerst verstehen. Das heißt: genau hinschauen. Was passiert in Meetings? Wer kommt zu Wort – und wer eher nicht? Wie gehen Teams mit Konflikten um? Wird Feedback wirklich gehört oder nur abgefragt? Diese Alltagsbeobachtungen sind oft ehrlicher als jeder formulierte Wert.
Werte definieren – aber vor allem: konsequent leben
Werte geben Orientierung. Sie helfen, in unsicheren Situationen Entscheidungen zu treffen. Aber sie funktionieren nur, wenn sie nicht im luftleeren Raum stehen. Ein Unternehmen, das „Verantwortung“ als Wert nennt, aber Mikromanagement lebt – wird unglaubwürdig. Wer „Wertschätzung“ proklamiert, aber bei Onboarding oder Feedbackprozessen spart – ebenso. Deshalb ist Kulturarbeit oft kein Kommunikationsprojekt, sondern ein Führungs- und Haltungsthema. Es braucht Ehrlichkeit, Selbstkritik – und vor allem: Geduld.
Kultur zeigt sich in Entscheidungen
Ob jemand ins Unternehmen passt, entscheidet sich nicht nur im Bewerbungsgespräch – sondern spätestens dann, wenn Entscheidungen getroffen werden. Wie transparent sind Prozesse? Werden Mitarbeitende einbezogen? Wie wird mit Fehlern umgegangen? Gerade in kritischen Situationen – z. B. unter Zeitdruck, bei Konflikten oder bei Rückschlägen – zeigt sich, wie stabil und echt eine Kultur wirklich ist. Auch kleine Details sagen viel aus:
- Wird zuerst über Schuld oder über Lösungen gesprochen?
- Wird konstruktive Kritik ernst genommen oder als Angriff empfunden?
- Dürfen sich auch Auszubildende oder Neue einbringen – oder bleibt Kultur ein Privileg der „alten Hasen“?
Kulturarbeit heißt auch: Widersprüche aushalten
Niemand lebt seine Kultur zu 100 % konsistent. Es wird immer Momente geben, in denen Ansprüche und Alltag kollidieren. Wichtig ist, das zu erkennen – und nicht zu beschönigen. Ein offener Umgang mit Widersprüchen stärkt die Glaubwürdigkeit: „Wir wollen eine offene Feedbackkultur – und merken gerade, dass wir da noch nicht sind.“ Solche Sätze sind oft ehrlicher als jede Hochglanzkampagne.
Und was hat das mit Recruiting zu tun? Eine ganze Menge.
Gerade im Bewerbungsprozess ist Kultur oft ein blinder Fleck. Dabei beeinflusst sie die Erwartungen und Entscheidungen beider Seiten. Menschen bewerben sich nicht nur für Aufgaben – sondern für ein Umfeld, in dem sie sich entwickeln können. Deshalb ist es wichtig, keine Idealversion der eigenen Kultur zu verkaufen, sondern transparent zu zeigen, wie sie gelebt wird – auch mit ihren Ecken und Kanten.
Beispielsweise durch:
- ehrliche Gespräche im Interview,
- Einblicke ins Team,
- oder klare Aussagen darüber, was im Alltag wirklich zählt.
Ein Unternehmen, das Kultur nicht nur benennt, sondern erfahrbar macht, wird langfristig bessere Matches finden – und mehr Menschen binden, die wirklich dazu passen.
Ein Praxisblick: Kultur sichtbar machen
Auch wir merken: Kultur zeigt sich nicht nur in Projekten, sondern im Zwischenmenschlichen. Wenn sich Kolleg:innen in stressigen Phasen gegenseitig den Rücken freihalten. Wenn neue Mitarbeitende offen sagen dürfen, was ihnen auffällt. Oder wenn sich Führungskräfte nicht nur als Entscheider:innen, sondern als Sparringspartner:innen verstehen. Das sind keine „Benefits“. Das ist gelebte Kultur. Und genau die ist am Ende oft entscheidender als jeder Obstkorb.
Fazit: Kultur ist nie fertig – aber immer da
Eine starke Unternehmenskultur entsteht nicht über Nacht. Und sie muss auch nicht perfekt sein. Aber sie sollte erkennbar, greifbar und – vor allem – ehrlich sein. Denn ob jemand langfristig bleibt, hängt nicht nur vom Gehalt oder den Aufgaben ab – sondern davon, ob sich das Miteinander richtig anfühlt.





