Warum Interviews mehr sein sollten als ein Frage-Antwort-Spiel
Bewerbungsgespräche sind der Dreh- und Angelpunkt vieler Recruitingprozesse – und trotzdem wirken sie oft veraltet. Während sich Arbeitswelten, Führung und Bewerber:innenprofile verändern, bleibt das Gesprächsformat häufig gleich: klassische Fragen, höflicher Smalltalk, formales Ende. Dabei könnte das Interview so viel mehr sein als ein Abfragen von Stationen und Kompetenzen.
Ein gutes Bewerbungsgespräch ist nicht nur Mittel zur Auswahl – sondern Begegnung, Standortbestimmung und potenzieller Startschuss für eine gemeinsame Entwicklung. Und genau deshalb lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Wie gestaltet man Interviews so, dass sie fair, aussagekräftig und gleichzeitig menschlich sind?
Struktur: Fairness beginnt mit Vergleichbarkeit
Professionelle Interviews brauchen einen Rahmen. Eine klare Struktur sorgt dafür, dass alle Bewerber:innen unter vergleichbaren Bedingungen zeigen können, was sie mitbringen – unabhängig davon, wie geübt, laut oder selbstbewusst sie auftreten. Das bedeutet nicht, dass Gespräche wie ein Multiple-Choice-Test ablaufen müssen. Im Gegenteil: Struktur schafft Sicherheit und Verbindlichkeit – für beide Seiten. Sie hilft, dass zentrale Fragen nicht untergehen und dass Entscheidungen auf nachvollziehbarer Basis getroffen werden können. Gerade in Zeiten, in denen Diversity und Chancengleichheit nicht nur Schlagworte, sondern echte Zielsetzungen sind, ist das ein zentraler Faktor.
Haltung schlägt Lebenslauf
Kompetenz lässt sich trainieren – Haltung oft nicht. Deshalb sollten Bewerbungsgespräche nicht nur auf Fakten und Erfahrungswerte setzen, sondern auch Raum geben für Denkweisen, Kommunikationsstil, Umgang mit Unsicherheit oder Veränderung. Situative Fragen oder hypothetische Szenarien sind hier wertvolle Tools. Sie geben Einblick in Entscheidungsverhalten, Empathie, Eigenverantwortung – also in das, was später im Job oft den Unterschied macht.
Beispiel: Die Frage „Wie würdest du reagieren, wenn…?“ öffnet mehr Türen als „Was hast du bisher gemacht?“
Bauchgefühl ist erlaubt – aber nicht als Erstes
Natürlich spielt Intuition eine Rolle. Der berühmte erste Eindruck, Sympathie, die persönliche Wellenlänge – all das ist menschlich. Aber genau deshalb sollte es bewusst eingesetzt werden. Denn Bauchgefühl ist ein schlechter Ratgeber, wenn es unreflektiert Entscheidungen bestimmt. Professionelle Gesprächsführung bedeutet, erst Inhalte zu sammeln, objektiv zu bewerten – und dann zu prüfen, ob sich das gute Gefühl auch durch Substanz trägt. So wird das Bauchgefühl zu einem sinnvollen Baustein, nicht zum alleinigen Maßstab.
Das Gespräch als Dialog – nicht als Test
Bewerbungsgespräche funktionieren am besten, wenn sie keine Einbahnstraße sind. Wer eine neue Rolle antritt, bringt nicht nur Fähigkeiten mit – sondern auch Erwartungen, Fragen, Ideen. Gespräche auf Augenhöhe bedeuten, dass auch Bewerber:innen die Möglichkeit bekommen, das Unternehmen kennenzulernen. Gute Interviews ermöglichen genau das. Sie zeigen nicht nur, was ein Unternehmen sucht, sondern auch, wofür es steht. Sie bieten ehrliche Einblicke in Kultur, Zusammenarbeit, Führung – ohne Werbebotschaften oder Worthülsen. Das stärkt nicht nur die Candidate Experience, sondern filtert auch automatisch besser: Wer sich verstanden fühlt, bleibt eher. Wer merkt, dass es nicht passt, kann sich bewusst dagegen entscheiden – und das ist genauso wertvoll.
Ein Beispiel aus der Praxis
In vielen Unternehmen – auch bei uns – wird längst daran gearbeitet, Interviews professioneller und gleichzeitig menschlicher zu gestalten. Strukturierte Leitfäden mit situativen Fragen, Bewertungsbögen für Fairness und Team-Feedback im Entscheidungsprozess sind heute Standards, die nicht nach Schema F wirken müssen. Wichtig ist dabei die Haltung dahinter: Weg von der Prüfung, hin zum Dialog. Nicht der perfekte Lebenslauf entscheidet, sondern die Passung – in beide Richtungen.
Fazit: Ein gutes Interview erkennt man daran, dass beide Seiten etwas mitnehmen
Das Ziel ist nicht, möglichst viele Antworten zu hören, sondern die richtigen. Nicht, ein Idealbild zu erfüllen, sondern herauszufinden, ob Zusammenarbeit entsteht. Bewerbungsgespräche sind keine Pflichtübung. Sie sind oft der erste echte Kontaktpunkt zwischen Menschen, die vielleicht gemeinsam etwas gestalten wollen. Und genau das sollten sie auch widerspiegeln: Klarheit, Echtheit – und gegenseitiges Interesse.





